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Das Opernglas 07/08 2015
Jubilar: PETER SCHREIER – 80. Geburtstag in Dresden
Autor: S. Barnstorf


Herr Schreier, Ende Juli werden Sie 80. Wie feiern Sie diesen großen, runden Geburtstag?

Ich habe Freunde eingeladen, und ich denke, wir werden das in einem Landgasthof hier in der Sächsischen Schweiz ordentlich feiern.

Sie wirken fit und gesund. Geht es Ihnen gut?
Ja! (lacht) Nur mein Rücken tut mir immer weh. Aber damit werde ich wohl leben müssen. Eine Operation kommt für mich nicht mehr in Frage. 

In Wien, Dresden, Berlin, New York – überall sind Sie aufgetreten, und das seit Ihrem Bühnendebüt im Jahre 1959. Wie haben Sie es in den Jahren geschafft, Ihre Stimme auf gleichbleibend hohem Niveau zu halten?
Zunächst einmal durch gute technische Voraussetzungen. Und ich bin nicht über mein Fach hinausgegangen, was sehr wichtig ist. Die Beanspruchung für die Karriere wird heute von allen Seiten, ob nun durch Medien oder Manager, vorangetrieben. Ich bin noch ohne dieses „Pushen“ von allen möglichen Seiten groß geworden. Dabei hat mir übrigens auch die Zeit in der DDR geholfen, denn dadurch, dass man dort ein bisschen eingeschränkt war, lief man zumindest nicht Gefahr, zu überziehen. 

Welchen Rat können Sie jüngeren Sängern heute geben? Können die sich dem Druck überhaupt entziehen, oder müssen sie das mitmachen?
Im Grunde muss jeder selber wissen, was er aus sich herausholt. Das ist immer wieder eine Frage der Persönlichkeit und auch der Intelligenz. Ich gebe auch heute noch ein paar Liedkurse; dort wird die Grundlage für eine gesunde Stimmführung gelegt. Ich gebe den jungen Sängern immer wieder mit auf den Weg, dass man sich nicht vordergründig die Stimmgröße ertrotzen sollte, sondern dass man die vorhandene Stimme dem gewollten Ausdruck angleicht. Dafür muss man auch einmal in der Lage sein, von einem schönen Ton wegzugehen und einen ausdrucksstarken Ton zu bringen. Das wird nicht mit Forcieren geschehen, das kann auch im Zusammenhang mit der Textbehandlung passieren. So versuche ich auf diese Weise, junge Sänger ein klein wenig zu beeinflussen. 

Wie waren denn Ihre eigenen Erfahrungen als junger Sänger?
Ich bin in Meißen geboren, meine Eltern stammen aus dem Erzgebirge. Mein Vater war Kantor in einem kleinen Ort zwischen Dresden und Meißen. Alle Kantoren in der Umgebung hatten den Ehrgeiz, dass die Kinder in den Kreuzchor kommen. Für mich – das betone ich extra, weil meine Klassenkameraden zum Großteil nicht bei der Musik geblieben sind – war damit klar, dass ich mich auch nach dem Kreuzchor mit der Musik weiter beschäftige. Ich habe hier studiert, mein erstes Engagement an der Dresdener Staatsoper erhalten und bin auch mein ganzes Leben in Dresden wohnen geblieben. Ich fühle mich daher so ein bisschen wie eine „Provinznudel“, obwohl ich das ganze Leben über gereist bin. Heute habe ich endlich die Möglichkeit, mich zu Hause auszuruhen und die vielen Erlebnisse zu verarbeiten.

Und davon gibt es ja unglaublich viele. Können Sie sich beispielsweise noch erinnern, wie oft Sie allein den Tamino gesungen haben?
Ich habe nicht Buch darüber geführt. Die Frau von Theo Adam hat das gemacht bei ihrem Mann, bei mir gibt es so etwas leider nicht. Wenn ich einmal überschlage, müssen es zwischen Wien, München, Berlin und Dresden so ungefähr 400 Mal gewesen sein...

Einige davon auch in Salzburg, wo Sie 25 Jahre lang bei den Festspielen gesungen haben… 
Dort habe ich eigentlich fast alle großen Tenorpartien von Mozart gesungen – neben der »Zauberflöte« auch »Don Giovanni«, »Così fan tutte«, »Entführung«, »Mitridate«, »Titus«… Und dann habe ich bei den Osterfestspielen unter Herbert von Karajan in den »Meistersingern« und im »Rheingold« gesungen. Das war für mich eine vollkommen neue Erfahrung. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Wagner singen kann! Aber in diesem Fall war ich überzeugt, dass das geht, weil Karajan wirklich mit dem Orchester so begleiten konnte, dass ich stimmlich nicht überfordert wurde. Diese Zusammenarbeit war für mich eines der bedeutendsten musikalischen Erlebnisse.

Haben Sie auch Karajans harten Führungsstil zu spüren bekommen?
Im Gegenteil! Er hat mir meine eigene musikalische Intention komplett überlassen. Ich denke nur an die Aufführung der »Matthäus-Passion« in Salzburg: Da hat er mir ein kleines Continuo-Ensemble gestellt, was separat vom großen Apparat stand. Er hat das überhaupt nicht dirigiert. Er hat uns – dem Cellisten, dem Bassisten, dem Orgelspieler und mir – gewissermaßen die Zügel in die Hand gegeben und selbst nur sein Orchester dirigiert. Das war ein Beispiel von großem Vertrauen. Dann noch ein Erlebnis: Ich bin ja kurzsichtig. Er hatte im »Rheingold« oder den »Meistersingern«, das weiß ich nicht mehr genau, wahnsinnig viel Licht auf der Bühne. Von allen Seiten! Ich war total geblendet, was ich ihm dann auch gesagt habe: „Meister, ich sehe Sie nicht.“ Da erwiderte er: „Macht gar nichts, brauchen Sie nicht, ich begleite Sie.“ Wenn er einem Sänger vertraute, hat er ihn hundertprozentig begleitet. Wenn Sänger dagegen nicht seinen Ansprüchen entsprachen, konnte er schon sehr diktatorisch sein… 
Aber das war mit Karl Böhm auch so: Böhm war ja ein penibler Dirigent, der gleich aus allen Wolken fiel, wenn einer einmal ein bisschen hinterher war, was sich auf der Bühne gar nicht immer vermeiden lässt. Manchmal wurde er da geradezu cholerisch. Dann haben alle gezittert.

Unter Böhm haben Sie 1966 auch bei den Bayreuther Festspielen gesungen…
Ja, aber nur hinter der Bühne den jungen Seemann im »Tristan«. Das war meine erste Begegnung mit Karl Böhm überhaupt. Die Partie ist nicht ganz ohne; man braucht eine sehr instrumentale Stimme, muss intonationssicher sein, damit man in derselben Tonlage ankommt, wie das Orchester weiterspielt. 

Als Carlos Kleiber Sie überredete, den Max im »Freischütz« zu singen: War das schon etwas über Ihre Verhältnisse?
Der Max war in der Tat ein persönlicher Wunsch von Kleiber, der unbedingt wollte, dass ich den singe. Und ich habe mich überreden lassen. Der Max ist eine Zwischenpartie, die eine sonore Tiefe verlangt, die der lyrische Tenor nicht unbedingt hat. Meiner jedenfalls nicht. Da hat Kleiber aber gesagt: „Mir ist wichtiger, dass wir die Passagen, wo Sie mit Ihrer Stimme glänzen können, als Maßstab nehmen. Alles, was an tiefer, sonorer Stimmführung gebraucht wird, können wir technisch im Studio regeln.“ Er ist musikalisch so intensiv gewesen, so überzeugend, dass ich das mit gutem Gewissen habe machen können. Und die Aufnahme ist auch eigentlich ganz gut.

Wie sehen Sie aus heutiger Sicht die Zukunft der Oper?
Da bin ich nicht pessimistisch, weil ich glaube, dass die Aktualität der Oper immer erhalten bleiben wird. Sie ist zwar ein Produkt vor allem der letzten zwei Jahrhunderte, aber ich glaube, dass sie immer eine Attraktion bleibt. Deswegen ist sie auch so beliebt: Die Oper bietet eine ganz besondere Art des Musikerlebens, das immer gefragt sein wird.

In Ihrer Karriere haben Sie einen deutlichen Schwerpunkt auf Liedgesang und Oratorien gesetzt. Wie sieht es in diesen Bereichen aus?
Da sprechen Sie einen heiklen Punkt an. Der Liedgesang war nie ein Massenspektakel. Aber ich bin auch da nicht so skeptisch wie andere, denn der Liedgesang hat auch heute noch eine Bedeutung. Jeder einigermaßen intelligente Sänger wird sich immer auch mit dem Liedschaffen befassen wollen. Das Lied gibt einem die Möglichkeit, seine innersten Regungen, seine Gefühle und Ansichten dem Hörer darzubringen. Das verlangt vom Sänger eine große Persönlichkeit und auch eine besondere Intensität. Man steht quasi nackt auf der Bühne, hat als Begleiter nur das Klavier; es fällt das Orchester weg, die Regie, die Bewegung… Hier zeigt sich, wer ein intelligenter Sänger ist und wer nicht. Mit einer schönen Stimme allein wird man im Liedgesang nicht brillieren können. Man muss auch daran denken, dass das eine Zwiesprache zwischen Publikum und Sänger sein muss.
Ich habe auch deswegen keine großen Ängste, dass der Liedgesang einmal „unter den Tisch fallen“ könnte, weil es heute so mannigfaltige Möglichkeiten gibt, sich als Lied­sänger zu bewähren. Und das wird von vielen Sängern wahrgenommen. Allein bei der Frage, ob es richtig ist, dass man Liederabende in großen Räumen wie in Opernhäusern veranstaltet, bin ich skeptisch. Dafür ist der Liedgesang eigentlich nicht gedacht. Es ist eine ganz intime Ausdrucksweise. Sobald dies in zu großen Sälen geschieht, fällt die Intimität weg und auch die Beziehung zum Publikum.

Sie haben im Liedbereich nicht nur auf dem Konzertpodium reüssiert, sondern eine ganze Reihe von zum Teil Maßstab setzenden Aufnahmen gemacht. Gerade erscheint Ihre »Dichterliebe« noch einmal auf CD
Also da bin ich selbst ganz überrascht, weil ich das gar nicht gewusst hatte, sondern davon eigentlich erst durch den Kontakt mit Ihnen in der Vorbereitung auf dieses Interview erfahren habe. Ich finde die Aufnahme sehr gut. Und es gibt nur Weniges, von dem ich so überzeugt bin – man ist zu sich selbst immer am kritischsten. Insofern finde ich es wirklich sehr schön, dass es gerade diese Aufnahme ist, auch durch die sensible Art der Begleitung durch Christoph Eschenbach. Es ist also geradezu eine Herzensangelegenheit für mich, dass sie jetzt noch einmal erscheint. 
Es wird dann auch noch eine »Winterreise« zu meinem Geburtstag herauskommen, und zwar in einer Aufnahme mit Streichquartett in einer für meine Begriffe sehr interessanten Instrumentierung. Das ist überhaupt die letzte Aufnahme, die ich gemacht habe vor ungefähr acht Jahren. Sie ist damals für den MDR entstanden als Rundfunkaufnahme und kommt jetzt erstmals als CD heraus.

In der DDR ist Ihr Album „Peter Schreier singt Weihnachtslieder“ 1,4 Millionen Mal verkauft worden – das war absoluter Rekord. Welche von Ihren vielen weiteren höchst erfolgreichen Einspielungen sind Ihnen rückblickend besonders wichtig? 
Das ist schwer zu sagen. Bei diesem Riesenumfang an Aufnahmen, die ich gemacht habe, würde ich erst einmal von vornherein keine favorisieren. Aber im Mittelpunkt steht schon der Evangelist – oder überhaupt die Passionen von Bach. Sie waren für mich der Mittelpunkt der ganzen Arbeit und meiner Überzeugung. Hier habe ich mich am wohlsten gefühlt, natürlich auch, weil ich Bach als Komponisten sehr liebe, begünstigt sicher durch meine Zeit im Dresdner Kreuzchor. Auf der anderen Seite habe ich in den Bach’schen Oratorien, speziell in der »Matthäus-Passion«, gespürt, dass der Evangelist ein so zentraler Mittelpunkt der Passion ist, dass man eigentlich alle Dinge in die Hand nehmen kann. Man kann die Interpretation des ganzen Stückes beeinflussen, die Tempi, die Farben, die Dramatik. Deswegen habe ich irgendwann in Personalunion den Evangelisten gesungen und das Stück selbst dirigiert. 

Womit wir zu Ihrer Tätigkeit als Dirigent kommen...
Ich habe Glück gehabt dabei. Dadurch, dass mich viele Orchester als Sänger akzeptiert haben, hatte ich es leichter, mit ihnen zu arbeiten und konnte gerade mit Blick auf die Bach’schen Werke versuchen, ein Stück weit von der traditionellen Interpretation wegzukommen. Das ist mir in vielen Fällen gelungen und war der eigentliche Anreiz, überhaupt als Dirigent zu arbeiten. Ich habe mich aber letztlich immer als Sänger gesehen und nie beabsichtigt, eine große Dirigentenkarriere zu machen. 
Aber als Dirigent kann ich sogar jetzt noch arbeiten, was ich gelegentlich auch tue: Im September werde ich das Mozart-Requiem mit der Dresdener Philharmonie in der Kreuzkirche dirigieren. Das wird ein Benefizkonzert sein für eine Orgel im neuen Konzertsaal, der hier in Dresden gebaut wird, und gleichzeitig ist es für mich auch ein Geschenk zu meinem 80. Geburtstag.



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