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OPER heute, Ein Almanach der Musikbühne
Henschel Verlag, Berlin DDR 1984

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"Wer Mozart singen kann, wird auch Wagner singen können"

Die Schwerpunkte Ihrer künstlerischen Arbeit liegen, wenn man den Konzertsaal ausklammert, auf der Opernbühne und im Schallplattenstudio, in erster Linie als Sänger, zunehmend häuftig aber auch als Dirigent. Worin sehen Sie Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten zwischen Bühne und Studio?
Ich bin etwas enttäuscht, daß auf der Opernbühne die musikalische Seite oftmals einfach zu kurz kommt. Um Fehldeutungen vorzubeugen: Jede wirklich konstruktive Zusammenarbeit mit Regisseuren ist mir wert und teuer - allein meine langjärige Zusammenarbeit mit Ruth Berghaus dürfte das nachdrücklichst unterstreichen. Aber wenn ich bemerke, daß die Musik sträflich unterbelichtet bleibt, nicht richtig ernst genommen wird, allen eine akustische Zutat für Einfälle der Regie bleiben soll, für solche Art Opernrealisation verspüre ich keine Ambition. Oper ist schließlich immer noch ein musikalisches Kunstwerk! Leider liegt dieser Zustand auch daran, dass wir in den Opernhäusern zu wenig Dirigentenpersönlichkeiten haben, die sich der Regie gegenüber als echte, fundierte Partner erweisen und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit sind. (.......) Joseph Krips war oft für mich in dieser Hinsicht die Idealpersönlichkeit - was habe ich aus seinen Klavier- und Ensembleproben für meine Mozartinterpretation (allein für den Ottavio!) profitiert! Da erhielt jede Achtelnote, jede Fermate ihren spezifischen musikalischen Ausdruck, ohne aus dem Zusammenhang gerissen zu werden.

In Ihrem Platten- und Konzertrepertoire gibt es einem Tonbestand, denn man auch bei manchem Sängerkollegen wiederfindet: Partien, bei denen Sie keinen Hehl daraus machen, niemals an eine Bühnerealisierung zu denken. Ich denke an solche exemplarische Fälle wie den Freischütz-Max oder den Fidelio-Florestan, und - vorerst - ist auch der Siegfried-Mime hinzuzurechnen. Welche Reiz haben solche Partien für Sie?
Bei Mime liegt das etwas anders. Diese Partie ist sehr auf Deklamation und Diktion aufgebaut. Die tiefgründige Orchesterbehandlung: erst das Wort sprechen lassen und danach erst die Musik, Höhepunkte aufbauen, in denen die Wortsprache klar un deutlich artikuliert werden kann, und darauf den dramatischen Akzent mit der Musik setzen! Besonders in der fulminanten Rätselszene erschloß sie mir das Genie Richard Wagners in allen Deutlichkeit. Eine musikalische und dichterische Intelligenz liegt darin, ein einmaliger Höhepunkt in Wagners Schaffen und vielleicht auch einer der ganzen 19. Jahrhunderts. Lassen sich mich nur den zweimal wiederholten Anfang herausgreifen: "Zwangvolle Plage, Müh' ohne Zweck!" Zuerst als scheinbar dahingesagt, dann ein paar Seiten später in der Partitur, bricht es mit unglaublicher Verschärfung wieder musikalisch hervor! Diese Genialität hat mich erneut darin bestätigt, meine Abneigung gegen diesen Komponisten einzugrenzen, die ich wegen seiner teilweise spekulativen Wirkung auf den Hörer hatte und habe. Denn ich glaube, daß in manche Details deiner Opern auch durchaus niedere Instinkte angesprochen werden, Emotionen ausgelöst werden, die hart an der Grenze zu chauvinistischem Gedankengut liegen. (......)

Und bei Max' "Durch die Wälder, durch die Auen ...."?
Bei Weber liegen die Sachen wieder anders. Es fing damit an, daß Carlos Kleiber wünschte, den Freischütz mit mir als Max zu produzieren, ansonsten würde er von dieser Aufnahme zurücktreten. Ich zögerte lange, da diese Partie einen baritonal gefärbten Tenor verlangt und relativ tief liegt. Zurückschauend möchte ich ich diese Studioarbeit mit Kleiber in keinen Fall mehr missen, denn während dieser Aufnahme habe ich wieder ganz neu gelernt, dass es bei gültigen Interpretationen prinzipiell keine Kompromisse geben kann - entweder man zieht bedingungslos mit oder lässt es sein. So hart diese Zeit auch war, so wertvoll war sie für meine künstlerische Entwickelung. Die Frage ist freilich, darf man das Publikum so "verkohlen" und sagen, das geht zwar auf der Platte, aber auf der Bühne nicht?! Schließlich muss auch die Figur physisch dahinterstehen, was bei einer Partie wie dem Max zwar von Take bis Take, von Aufnahmetag zu Aufnahmetag möglich war, aber wenn ich meinen Mozart bewahren will, kann ich nicht diese Heldentenorpartien auf der Bühne singen. So wird es die berühmte Ausnahme von der Regel sein. Den Leipziger Rundfunk-Florestan habe ich fast schon vergessen ......

Wie lautet Peter Schreiers Auffassung zur Tonkonserve generell?
Hier möchte ich differenzieren. Ich bekenne, daß mir nur in ganz wenigen Fällen Studioaufnahmen glücklich gemacht haben. Die Schallplatte ist für mich - ganz spezifisch als vortragender Künstler - immer noch und immer wieder ein Rätsel. Die Aufnahmen kommen unter den Zwang zustande, etwas Perfektes für die Ewigkeit zu produzieren, und dadurch vergißt man dann bei der Aufnahme seine Umwelt, sein Ich, konzentriert sich nur auf diese Maxime, nur auf das Mikrophon.
Der Gegenbeweis ist mein Salzburger Liederabend mit Jörg Demus (1977). Nie hätte ich geglaubt, daß dies eine schallplattenreife Sache wird. Und selbst wenn ein Detail einmal nicht hundertprozentig stimmt, der Live-Charakter des Abends im Kleinen Festspielhaus überträgt sich mit ganz eigenem Reiz auch für den Schallplattenhörer.
Bei meinen Mozart-Opern, die im Studio produziert wurden, fällt mir am intensivsten auf, welche Entwickelung meine Stimme durchgemacht hat. Allein die Studio Così fan tutte - welche Sterilität bei dieser tiefgründigen, hintersinnigen Musik! Freilich, alles ist sauber in das Mikrophon gebracht, aber wo sind die Personenbeziehungen, wo das Ensemble-Spiel? Im Hinterkopf hatte man immer den Gedanken: jetzt, diesen Ton, den wollen dann die Hörer pieksauber hören, den musst du perfekt produzieren. Ich wäre totunglücklich, wäre nicht auch die mitgeschnittene Bühneproduktion von Così auf dem Markt. Denn auf der Bühne spüre ich die Atmosphäre der Zuschauer, sieht der Zuschauer den Sänger, sein Spiel, seine Erregung, seine daraus abgegleitete dynamische Abstufung. Da ist es egal, ob jedes "fis" stimmt, der musikalische Ausdruck ist das primär Wichtige, dieses im Italienischen so treffend als "affettuso" Bezeichnete. Diese Sachlage wird das Medium Schallplatte immer problematisch bleiben lassen, trotz Stereo-, Quadro- und Digitaltechnik! So gehe ich mit der inneren Sicherheit in die Zukunft, daß das Originalerlebnis einer Bühneraufführung oder Liederabends im Konzertsaal nie zurückgedrängt werden kann. (......)

Trennen Sie bewußt zwischen den Funktion Dirigent und Sänger Schreier, oder versuchen Sie gemeinsamkeiten herauszufinden?
Ich bekenne mich zu einer bewußten Trennung, auch wenn sie in Ausnahmefällen mein Name in beiden Funktionen finden läßt. Dann habe ich als Dirigent so intensiv vorgearbeitet, daß die Musiker ganz genau um meine Interpretation wissen und ich mich voll auf den Gesang konzentrieren kann.
Als Dirigent Schreier ergibt sich für mich auch ein ganz anderer Abstand zum Mikrophon, und zwar nicht nur in Metern. Dabei manifestiert sich das Problem Platte nicht so negativ, weil ich in diesem Fall "nur" Anreger eines komplexen Klangeindruckes bin.
Als Sänger Schreier gab und gibt es für mich in den letzten Jahren bei Tonaufnahmen nur die drastische Methode, mich vor allen Maßnahmen und Hinweisen der Tonmeister und Aufnahmleiter zu lösen und das Gehirn voll auf die Vortäuschung zu konzentrieren - du steht jetzt in einem Zuschauerraum. Nur so gelingt mir ein vernünftiges Ergebnis.

Von Bach zu Wagner, wie bewaltigen Sie solche Vielfalt an künstlerischen Handschriften in Schallplattenreife? Und wann begann Ihre Bekanntschaft mit dem Werk Wagners?
Im Konzert-Repertoire der Kruzianer hatten wir auch das "Dresdner Amen", das Wagner in Parsifal verwendet. Das war auf Jahre mein einziger Bezugspunkt zu diesem Komponisten, meine Bekanntschaft mit der Kunstform Oper begann generell erst mit dem Gesangsstudium, um das Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren. Es erfreut mich, daß ich mir über die Jahre hinweg einen Zugang zum Werk Richard Wagners erarbeiten konnte. Schuld daran ist, wenn man dieses Wort überhaupt anwenden darf, Herbert von Karajan. Er sagte nach einer Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion: "Wissen Sie, wenn ich Ihren Evangelisten so höre, müßten Sie ein ausgezeichneter Loge sein!" Bis dahin kannte ich den Rheingold-Loge überhaupt noch nicht. Karajan gab mich seine Platteneinspielung mit Gerhard Stolze, und so beschäftigte ich mich erst einmal probeweise am Hörerlebnis mit dem Klavierauszug in der Hand. Meine Frau war entsetzt und meinte echauffiert, daß ich "so etwas" doch nicht singen könnte, ich sei wohl..... - Doch ich konnte mich dem eigenartigen Reiz dieser Partie nicht mehr entziehen, durch immer intensiveres Werkstudium spürte ich ungeahnte Möglichkeiten neuer stimmlicher Entwickelung auf.


Peter Schreier: Loge  (R. Wagner: "Das Rheingold" )


Gewissermaßen ein direkter Weg Ihrerseits von Bach zu Wagner, dank der Schallplatte!?
Ja, der Loge hat schon Gleichnisse zum Evangelisten in der Matthäus-Passion aufzuweisen, gerade auch weil er inhaltlich auf ganz anderem Gebiet liegt. Ich will sagen, im Sich-Identifizieren, im ganzen sängerischen Ausdruck, den man für eine gültige Interprepretation einbringen muß: die ganz persönliche Einfärbung zur Durchdringung der Partie, daß nicht nur eine Deutung unter vielen zustande kommt, sondern eine spezifische, persönliche Ausdeutung – dort liegt der entscheidende Punkt meines Hineinkniens in die konträr scheidenden Aufgaben.

Apropos konträr scheinende Aufgaben: Hier den heiteren, jugendlich-verspielten David, da den seiltänzerischen, verschlagenen Realpolitiker Loge. Ist dieses Entweder-Oder für Sie gegenstandlos?
Von meiner Verlagerung her, von Natur aus, sehe ich mich mehr als David, das möchte ich einmal so in den Raum stellen. Als Loge dagegen nicht. Ähnlich geht es mir im Falle der Winterreise Schuberts. Diese Liederzyklus schiebe ich immer und immer wieder vor mir her, weil ich mich nicht mit der Hoffnungslosigkeit dieses schwermütigen Wanderers zwischen den Welten anfreuen kann. Das bin ich nicht. Ich bin ein Frohnatur, wenn man diesen Goetheschen Begriff hier benutzen kann. Aber gerade das Nicht-auf-der-Rolle-Liegen hat wohl den “anderen” Peter Schreier herausgefordert, meine besondere Intensität im Erarbeiten von Partien wie Loge und Mime. Beim David brauchte ich mich “nur” zu geben, wie ich bin, jederzeit zum Flachsen und Flapsen aufgelegt, im Prinzip unkompliziert. – Im Gegensatz dazu war der Loge ein riesengroßes Abenteuer für micht und im Energebnis eine tolle Bekanntschaft! Etwas anders war es mit Mime, weil die Bekanntschaft in diesem Fall auch noch nicht so alt ist…

Wie volzog sich Ihre Bekanntschaft mit der Wagner-Hochburg Bayreuth?
Wissen Sie, von heute und hieraus betrachtet, klingt das womöglich eigenartig: Es war für mich keine überragende Aufgabe, aber jeder Sänger wird sich geehrt fühlen, wenn er nach Bayreuth eingeladen wird, da mache ich keine Ausnahme. Ich fuhr also 1966 zum Grünen Hügel und sang meinen Seemann, wage gar nicht, das als Wagner zu bezeichnen. Ganz unbedarft habe ich auf der Seitenbühne des Festspielhauses gestanden, zwischen den Choristen aus aller Welt, und mir war die ganze Tragweite einer Tristan und Isolde-Aufführung unter Böhm in Bayreuth nur unbewußt klar. Karl Böhm machte auch noch seine Späße unten im Orchestergraben, klopfte während der Probe vor meiner Einsatz ab mit dem Bemerken: “Den Sie jetzt hören werden, meine Damen und Herren, das ist der Schreier aus Dresden, der kann sich diesen Namen sogar leisten….” Wieland Wagner stand neben mir und machte mir Mut – aber ich fragte mich selbst im Inneren, worüber man denn so aufgeregt ist? Hineinleben in eine Sache kann ich mich eben erst dann, wenn ich musikalisch von einer Partie überzeugt bin, wenn ich aus der Musik mit meiner Diktion als Sänger für den heutigen Zuhörer Glaubhaftes gestalten kann; wenn ein Intervall stimmig ist, wenn es mir gestattet, auch ein stimmlichen und stimmigen Ausdruck zu modifizieren, vom Wort untermauert. Nicht nur eine Partie vom Blatt absusingen, sondern kreativ und so natürlich als nur möglich auszugestalten und auszufüllen. Dort liegt für mich die entscheidenden Punkte meiner Wagner-Interpretation. Das kann man mit Mozart s o nicht machen, das ist eine ganz andere Zeit, eine andere Art, ja - sogar einen andere Dimension!

Wo sieht da der Mozart-Sänger per excellence, als der Sie oft bezeichnet werden, die Grenze zwischen Mozart und Wagner? Ist Ihr Mozart-Gesang jetzt durch Wagner oder wurde Ihre Wagner-Interpretation durch Mozart geläutert?
Zunächst möchte ich ein Wort des bereits erwähnte, von mir hochgeschätzten Mozart-Dirigenten Joseph Krips aufgreifen, der das Problem treffend umriß: “Ein Sänger, der Mozart singen kann, wird auch Wagner singen können”. Hier liegt tiefere Wahrheit verborgen, als sie auf den ersten Blick ablesbar wird. Ein Mozart-Sänger ist ja nicht etwa einer mit kleiner Stimme! Karl Böhm betonte immer wieder zu Recht: “Mozart, denn muß man ‘net säuseln!” Der Begruff einer grossen Stimme, für Wagner immer wieder gefordert, heißt keineswegs, daß der Sänger ein übermächtiges Organ haben müße, sondern hier zeigt sich, daß eine Stimme gut sitzen muß. Die Schallkraft ist entscheidend, nicht das bloße Volumen, um über den Wagnerschen Orchesterapparat hinweg die Stimme tragfähig zu halten. Der Gesamtkomplex Mozart verlangt von Sänger gerade die Überbrückung des zumeist als “glatt” gedachten Gesanges, diese Höherstellung des gesungenen Wortes, wie es Felsenstein sinngemäß bezeichnete. Vielleicht muss man bei Mozart sogar noch mehr Intensität aufbringen, um das Wort gegenüber der Musik Geltung zu verschaffen, als bei Wagner. (…….)

Die Erinnerung mag täuschen, aber als Sie einst in der Lindenoper den Loge sangen, mit Kantilene und in Belkantomanier, da war das noch eine Zeit, in der Peter Schreier im (Ver-?)Ruf eines absoluten “Schön”-Sängers stand. Nun, im Janowski-Ring, reißt Ihre Interpretation eine ganz andere, neue Dimension auf.
Die ganze Entwickelung meiner Jugend, als Kruzianer in Dresden, läßt sich nicht wegdiskutieren, dieser Stil setzt sich so fest. Ich bekenne mich zu den Maximen eines sauberen, schönen, fast instrumental geführten Gesanges. Doch in der letzten Jahren habe ich einen großen Sinneswandel durchgemacht. Mir nicht Wohlgesonnene könnten meinen, die stimmliche Kraft habe nachtgelassen. Nein – im Gegenteil – wenn ich heute meine alten Schallplattenaufnahmen anhöre, auch besonders die Liedplatten, möchte ich alles noch einmal neu machen. Die Erfahrungen mit mir selbst und die mit meinem Publikum haben mich auf den heute gültigen Stand gebracht, und der gibt mit noch auf viele Jahre die Kraft zu neuen Möglichkeiten stimmlicher Gestaltung. Ich will es deutlich sagen: Peter Schreier sieht sich als S ä n g e r , solange es seinen physischen und psychischen Voraussetzungen gestatten. Das Singen ist für mich die Möglichkeit, mein künstlerisches Geschick allein zu bestimmen, konsequent auszudrücken, was ich will.



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