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So perfekt bin ich nicht

Peter Schreier über fehlende Ruhe, nötigen Druck und Musestunden in Kreischa

Jüngst in Venedig, vor einer Woche in Tokio gefeiert, gab der Dresdner Tenor Peter Schreier in dieser Woche einen Meisterkurs an der hiesigen Musikhochschule "Carl Maria von Weber". Am Sonntag singt er im Kulturrathaus deutsche Volkslieder zur Gitarre mit Konrad Ragossnig und bereitet gerade die zweite Schumanniade Kreischa vor. Ein Gespräch mit dem 65-Jährigen.

Konzerte und Dirigate weltweit, Kurse und Festivals - haben Sie keine Lust auf Pensionärsruhe?
Es sieht danach aus. Ich bin nun mal ein Typ, der nicht unbedingt Nein sagen kann, wenn er intensiv bearbeitet wird. Immerhin ist der Stress nach dem Abschied von der Opernbühne im vergangenen Juni nicht mehr so groß. So bin ich in einer zumindest seelisch ausgeglichenen Situation und versuche nur noch das anzunehmen, was mir Spaß macht.

Sie geben selten Kurse. Womit überredete man Sie diesmal?

Bei Kursen bin ich stets skeptisch: Selten kommen gute Leute, dafür technisch unfertige Sänger, mit denen man in den paar Stunden kaum an der Interpretation arbeiten kann. Diesmal nutzten einige vielversprechende Teilnehmer den Kurs, sich auf die nächste Hochschul-Inszenierung "Die Gärtnerin aus Liebe" vorzubereiten, die Ende Oktober im Theater Meißen Premiere hat.

Weshalb engagieren Sie sich für Projekte an unscheinbaren oder akustisch ungünstigen Orten?

Nehmen Sie die Reihe "Das Lied in Dresden". Da geht es mir nicht um den mehr oder minder guten Saal des Kulturrathauses. Mich begeistert, dass junge Menschen eine Dresdner Tradition fortführen wollen und wie sie es schaffen, viele große Liedsänger herzuholen. Das ist wichtig, denn das Lied ist doch nach der Wende ziemlich untergegangen. Also fühle ich mich verpflichtet, mitzuhelfen - nicht mehr lange, aber solange, bis die Reihe ein stabiles Fundament hat.

Woran liegt es, dass das Interesse am Lied so abgenommen hat?

Das Lied ist eine leise Form der Aussage. Wir aber leben in einer lauten, das Spektakel liebenden Zeit. Da bleiben nicht so viele Menschen übrig, die an der intimen Form des Vortrags interessiert sind.

Ist es eine Frage der Bildung?

Ein musikalisch wenig Gebildeter hat es in der Oper, wo ihm ja eine Geschichte gezeigt wird, oder in einem Konzert mit einer vielgespielten Sinfonie leichter. Da kann er mitsummen und mitreden, sich repräsentieren. Das Zuhören ist kein Bildungsgut mehr, kein Wunder bei der immer schlechter werdenden schulischen Musikausbildung.

Was bringt dann ein weiteres Spezialisten-Festival, wie die vor zwei Jahren initiierte Schumanniade Kreischa?

Um zu zeigen, dass nicht nur in den Zentren Bedeutendes entstand. Kreischa war eine der kurzen, aber wichtigen Stationen im Leben von Robert und Clara Schumann, die im Mai 1849 mit den Kindern vor der Revolution aus Dresden geflüchtet waren. In diesen sechs Wochen ihrer Anwesenheit war Zeit für Muse, die sich in einer unglaublichen Anzahl von Kompositionen niederschlug, unter anderem das Jugendlieder-Album und die Rückert-Lieder. Es existiert ein Tagebuch über den Aufenthalt, die Wanderungen der Familie, die man nachvollziehen kann. An diesem authentischen Ort Stücke aufzuführen, die in Kreischa entstanden sind, findet großes Interesse.

Was hat Schumann mit Beethoven-Liedern zu tun, die das diesjährige Programm ergänzen?

Das Neue in diesem Jahr ist, dass wir Kammermusik und Lied in einem Programm anbieten. Und Pianist András Schiff spielt Schumanns C-Dur-Fantasie, in der zweimal Beethovens "Ferne Geliebte" zitiert wird - wohl ein Gruß an Clara. Im Übrigen ist es schon eine kleine Sensation, dass ein vielgefragter Mann wie András Schiff mitmacht und noch dazu zu unseren bescheidenen Konditionen. Für mich ist er ein idealer Partner, weil er unerhört inspirieren kann.

Peter Schreier strahlt stets Sympathie aus, Kollegen bezeichnen Sie als enorm diszipliniert. Woher rührt diese Konstanz, diese scheinbare Ausgeglichenheit?

Der Eindruck ist falsch. Ich komme mir manchmal eher wie ein Gejagter vor, was auch daran liegt, dass ich den Druck brauche - was vererbt ist. Ein Beispiel: Am 2. Juni dirigiere ich eine "Johannes-Passion" mit dem Chicago Symphony Orchestra. Die Noten mit meinen Anmerkungen mahnen die Musiker seit Wochen an. Ist es Schlampigkeit? Ich schiebe gern das Unangenehme hinaus. Sie sehen also, so perfekt ist der Charakter nicht.

Das Gespräch führte Bernd Klempnow
Sächsische Zeitung - 12.05.2001



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