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2004
Yahoo Group Opernforum 14.12.2005
J.S. Bach: Weihnachtsoratorium - Essen
Die älteren unter uns werden sich noch an Peter Schreier als Opernsänger erinnern, der in der Zeit nach Fritz Wunderlich die Opernszene im Mozartfach dominiert hat. Seine Interpretationen des Tamino, Ferrando, Belmonte oder Don Ottavio sind legendär. Unvergesslich und unvergessbar sind aber auch seine Interpretationen der Tenorpartien in den Werken von Johann Sebastian Bach und als Liedersänger. Die Qualität seiner Stimme und Gesangskultur ist in zahllosen (offiziellen und illegalen) Aufnahmen den jüngeren Musikliebhabern erhalten. Als Opernsänger hat er schon vor längerer Zeit Abschied von seinem Publikum genommen; Liederabende Konzerte hat er bis zuletzt gegeben. Seit vielen Jahren widmet er sich der Musik auch durchaus erfolgreich als Dirigent.
Sein letzter angekündigter Auftritt als Sänger war letzten Sonntag in Essen in einer Aufführung des "Weihnachtsoratorium", das er als Dirigent leitete und in dem er die Partie des Evangelisten zum letzten Mal sang. Eine DVD, die bei dieser Gelegenheit der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kommt Anfang 2006 in den Handel (leider zu spät für ein Weihnachtsgeschenk).
Den Orchesterpart gestaltete das Bach Collegium München, die Chorstimmen waren dem Münchner Bach Chor anvertraut (Hansjörg Albrecht hat die Leitung dieses unter Karl Richter berühmten Chores vor drei Monaten übernommen und in dieser Zeit einen wunderbar transparenten Klangkörper geschaffen).
Dem Anlass entsprechend würdig waren die Solisten. Robert Holl braucht Musikfreunden nicht vorgestellt zu werden. Mir fällt gegenwärtig keine bessere Besetzung der Bass-Partien in Messen und Oratorien ein. Martin Petzold hatte den schwierigen Part übernommen, nach Peter Schreier die Tenorarien zu singen, und war dieser Aufgabe durchaus gewachsen. Sibylla Rubens (Sopran) zeigte mehr als Talent (wenngleich ich mir manche Höhen glanzvoller vorstellen kann). Und Elisabeth Kulman bewies einmal mehr, dass sie neben ihrer Karriere auf der Opernbühne auch eine hervorragende Konzertsängerin ist, bei der Veranstalter Schlange stehen sollten.
Peter Schreier sang noch einmal die Worte des Evangelisten und es war ein berührender Abschied von diesem großartigen Sänger, der letztmalig einen Beweis seiner Stimmkultur und seiner Stilfestigkeit zeigte. Es war ein historischer Abend, an dem Alt und Jung eine ideale Partnerschaft boten. Glücklich, wer dieses Konzert miterleben durfte.
Michael Koling
OMM 12/2005
"Auf Flügeln des Gesangs"
Peter Schreier eröffnete mit seinem 75. Auftritt bei der Schubertiade die Dezember-Veranstaltungen in Hohenems. Dem Vernehmen nach war dies auch gleichzeitig sein letzter Liederabend, wurde aber nicht als "Abschiedsveranstaltung" benannt. Neun Lieder von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumanns Liederkreis op. 39 und "Deutsche Volkslieder" von Johannes Brahms standen auf dem Programm. Am Klavier saß Helmut Deutsch, der nicht nur der berühmte "zuverlässige Begleiter", sondern ein ebenbürtiger musikalischer Partner war. Er ließ in vielerlei Nuancen Bilder vor Augen entstehen, besonders eindrucksvoll im "Schilflied", herrlich tapsig im "Wie komm ich denn zur Tür herein?" und ganz einfach aber ausdrucksstark im "Herbstgefühl".
Peter Schreier gehört zweifellos zu den ganz Großen. Die Stimme ist klar und geradlinig, und es ist gerade und immer noch die ungeheure Leichtigkeit des flexiblen Tenors mit der er bezaubern kann. Die Mittellage klingt besonders im Mezzoforte wunderschön wie immer. "Leise zieht durch mein Gemüt" klang sanft und zart wie eh und je - wie auf den berühmten, auch an diesem Abend besungenen "Flügeln den Gesangs" gesungen.
Schreier singt hochkonzentriert, ohne dabei angespannt zu klingen. Im Liederkreis op. 39 stieß er lediglich in der "Mondnacht" an gewisse Grenzen, begeisterte aber ansonsten mit vielerlei Ausdrucksvarianten - auch mal ein bisschen verrucht ("Schöne Fremde") - und konnte mit der voller Elan und Energie gesungenen "Frühlingsnacht" mitreißen.
Die Auswahl aus "Deutsche Volkslieder" von Johannes Brahms ging Schreier nicht weniger konzentriert, aber doch gelassener an. Diese Lieder liegen angenehmer, haben keine extremen Höhen und Tiefen. Auch hier begeisterte die ungeheure Leichtigkeit. Vergnüglich und mit Ironie brachte er die Zuhörer mit den Varianten von "la la la la" im "Feinsliebchen" zum Lächeln, rührte mich dem traurigen Ton des "Schwesterlein" und erwirkte auch ein unbeabsichtigtes Grinsen mit "Juche!" - da denken Loriot-Fans unweigerlich an Mutter Winkelmann in "Ödipussi" - "Wie ist doch die Erde so schön so schön".
Anstatt wie im Programm abgedruckt mit "Herbstgefühl" zu enden, dessen "bald stirbt sie auch" durch Mark und Bein ging, ließen Schreier und Deutsch das offizielle Programm hoffnungsvoller mit "Sehnsucht" ausklingen. Es ist schon beeindruckend wie gesund man eine Stimme erhalten kann, wenn man verantwortungsvoll mit ihr umgeht. Und es ist wird einmal wieder deutlich, wie Lebens- und Gesangserfahrung die Ausdruckskraft bereichert.
Köstlich onkelhaft erzählt, so wie man es keinem 30jährigen abnehmen würde, mit abschließendem, verschmitztem Grinsen, sang Schreier die "Forelle" als erste Zugabe. Das "Ständchen" ("Leise flehen meine Lieder") und "Der Musensohn" folgten und dann - mit wissendem Lächeln angekündigt - "Abschied". Mit Standing Ovations feierte das Publikum einen seiner Schubertiade-Lieblinge. Angemessen und verdient.
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Vorarberger Nachrichten 10.12.2005
Vielen Dank, Peter Schreier
Wehmütiges Ade
Hohenems. Den Abschied von seinem Sängerleben nicht eben leicht gemacht haben die Schubertianer am Donnerstag im vollbesetzten Markus-Sittikus-Saal ihrem Liebling Peter Schreier. Wie auf Kommando erhob sich das Publikum am Ende gleich zweimal zu Standing Ovations, erzwang sich eine improvisierte Autogrammstunde. Von weit her sind sie eigens angereist zu diesem Abschied von einem der maßgeblichen Tenöre unserer Zeit, seine langjärigen Freunde und Fans aus Deutschland, der Schweiz, aber auch aus Frankreich, England und den USA.
Stets verbunden
Peter Schreiers allerletzter Liederabend also, unweit jenes Palastes, wo diese Liedlegende am 13. Mai 1976 seinem Freund Hermann Prey mit Schubert "Schöner Müllerin" geholfen hat, die Schubertiade aus der Taufe zu heben. Dass sich der Kreis nach 30 bewegten Jahren gerade bei diesem Festival schließt, mit seinem dort 75. Auftritt, zeigt, wie eng Schreier der Schubertiade stets verbunden war.
Dirigieren will er noch weiter, mit dem Singen aber ist nach seinem heurigen 70. Geburtstag endgültig Schluss. Ein paar Jahre wären vielleicht noch drin gewesen, aber Schreier weiß genau, wann es Zeit ist zu gehen. Er hat es stets verstanden, mit seiner Stimme zu haushalten, sie zu schonen, mit fantastischer Technik intakt und beweglich und sich selber geistig und körperlich fit zu halten. Diese unglauchliche Konstanz, seinen hohen Perfektionsanspruch demonstriert er nun ein letztes Mal. Und es ist auch diesmal wie eh und je: Schreier ist stimmlich voll präsent, gibt ohne intellektuelle Abgehobenheit jedem Lied seine Stimmung. Verströmt Wärme und Wohlklang bei Mendelssohns "Auf Flügeln des Gesanges", hält den endlosen Atem bei Schumanns "Mondnacht". Und ist vollends in seinem Element bei einer Auswahl der "Deutschen Volkslieder" von Brahms, wo auch dem mittlerweile gesetzten Siebziger der lausbübische Schalk des jung Verliebten aus den Augen blitzt. Souveräner Mitgestalter ist sein langjähriger Partner Helmut Deutsch.
Seinen eigentlichen Abschied aber inszeniert Schreier über die Zugaben klug und beziehungsvoll und natürlich mit Schubert. Nach "Forelle" und "Ständchen" artikuliert er den Wunsch des "Musensohnes", am Busen der Musen endlich auszuruhen. Und setzt aus dem "Schwanengesang" den endgültigen "Abschied": "Ade, du munt're, du fröhliche Stadt, ade!" F.J.
Seoul
National University / Blog 06.11.2005
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Text (Koreanisch / Korean)
Münchener
Merkur / Marktplatz Oberbayern 26.10.2005
Immer
noch jugendlich frisch
Star-Tenor Peter Schreier gibt Abschiedskonzert in Vaterstetten
Vaterstetten. Peter Schreier gab seinen "Schwanengesang" im Rathaus Vaterstetten beim 8. Abonnementkonzert, wohl deshalb war das Publikum so international. Viele Fans wollten es sich nicht entgehen lassen, diesen vorletzten Liederabend mit Franz Schuberts "Die schöne Müllerin", nach Texten von Wilhelm Müller, zu erleben. Schreier wird noch einige Konzerte in Japan geben und sich dann nur noch dem Dirigieren widmen. Kein Wunder also, wenn das Rathaus voll besetzt war. In dem Zyklus "Die schöne Müllerin" begleitet der Bach das Leben des Müllerburschen von Anfang bis zum Ende. Der Bach ist Begleiter und zugleich Freund, ihm teilt er alle Freuden und Leiden mit. Dieses Fließen ist in Schuberts Musik immer präsent und erfordert vom Sänger eine präzise Stimmführung.
Bereits beim ersten Lied
des Zyklus, "Das Wandern" (Das Wandern ist des Müllers Lust),
zeigte Peter Schreier, dass seine Stimme noch das helle, jugendliche Timbre
besitzt. Viel Lockerheit in der Stimme und eine langen Atem erfordert "Wohin?"
(Ich hört ein Bächlein rauschen). In "Halt!" hat er eine
sauber instrumental geführte Stimme.
Er singt nicht nur, er spielt die Texte, jede Gefühlsregung spielt er.
"Hätt ich tausend Arme zu rühren, könnt ich brausend die
Räder führen!", kommt kraftvoll, dynamisch und "Der Neugierige"
(Ich frage keine Blume, ich frage keinen Stern) ist mit rührender Unschuld
und Schmelz gesungen. Erste Schwierigkeiten zeigen sich bei "Ungeduld",
hier meistert er aber mit seiner brillanten Technik das Problem.
Seine wahre Stärke
zeigt sich aber im zweiten Teil des Zyklus. Ein großes Lob muss auch
Camillo Radicke gezollt werden. Hingebungsvoll begleitete er am Flügel.
Er schien mit Schreier zu atmen, jedes Ritardando, jede Fermate war, als ob
Sänger und Pianist eine Person sind. Jede Gefühlsregung Schreiers
setzte er in der Liedbegleitung um. Im zweiten Teil der Müllerlieder
steigerte sich Schreier, jetzt kam seine große menschliche Reife zum
Tragen. Dramatik konnte er im Lied "Der Jäger" aufbauen und
anrührend war "Eifersucht und Stolz". Durch sein ausdrucksstarkes
Spiel lässt Schreier die Texte lebendig werden.
Als er das letzte Lied, "Des Baches Wiegenlied" (Gute Ruh, gute
Ruh, tu die Augen zu) singt, ist es im Rathaussaal so still, dass man eine
Stecknadel hätte fallen hören. Die Spannung, die Schreier zwischen
sich und dem Publikum aufgebaut hat, hält auch nach diesem Lied noch
an und erst langsam, nach vielen langen Sekunden, setzt allmählich der
Applaus ein.
Es ist, als ob sich die Menschen erst nach und nach aus dem Bann lösen.
Dann aber tobten die Besucher vor Begeisterung und nach der Zugabe "Über
allen Wipfeln ist Ruh", von Franz Schubert nach einem Text von Johann
Wolfgang von Goethe, bekamen Schreier und Radicke Standing Ovations. JvS
Sächsische
Zeitung 18.10.2005
Winterreise
in den Ruhestand
Abschied. Kammersänger
Peter Schreier beendete in der Marienkirche seine Gesangs-Karriere mit einem
bewegenden Schubert-Liederabend.
Großenhain. Man muss kein Kenner des klassischen deutschen Liedgutes sein, um beim Gesang des Tenors Peter Schreier ein Kribbeln auf der Haut zu spüren. Ein gewisser Hang zum Grübeln steckt in den Deutschen ja schon drin, und wenn der Interpret dann noch sein Schubert-Repertoire vorträgt, genügt schon eine Verszeile wie „Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht...“, um echte Rührung hervorzurufen.
Schreier hat die „Winterreise“
erstmals bei der Eröffnung der Semperoper im Jahr 1985 vorgetragen. Nun,
20 Jahre später, schließt sich in der Großenhainer Marienkirche
der Kreis. Der Liederabend soll der letzte überhaupt in der Karriere
des weltberühmten Sängers sein. Inzwischen 70 Jahre alt, will sich
Peter Schreier allein dem Dirigieren – seiner zweiten großen Leidenschaft
– widmen. Eigentlich sei er schon viele Jahre über die beste Sänger-Zeit
hinaus, sagte er kürzlich in einem Interview. Mögen andere beurteilen,
ob man das seiner Stimme anmerkt, in Großenhain sang Schreier mit einer
Ausdruckskraft, bei der sich jede kunstkritische Erbsenzählerei verbietet.
Vielleicht war es gerade die Wehmut, einen großen Lebensinhalt nun hinter
sich zu lassen, die den Sänger so überzeugend wirken ließ.
Zieht Publikum in
seinen Bann
Nach drei, vier Liedern hat Peter Schreier das Publikum völlig in seinen
Bann gezogen. Virtuos wechselt er zwischen fast geflüsterten und verzweifelt
herausgesungenen Passagen. Kraftvoll unterstützt vom Dresdner Streichquartett,
gibt er dem sonst auf sparsame Klavierbegleitung ausgelegten Liederzyklus
eine völlig neue Intensität.
In den kurzen Pausen zwischen
den Stücken regt sich im Publikum keine Hand. Hier ein verstecktes Räuspern,
da ein verstohlenes Niesen – hat dort etwa jemand geschluchzt? Und dann
ist die „Winterreise“ auch schon zu Ende. Weil keiner Schuberts
Werk so gut kennt, dass er Lied Nummer 24 identifizieren könnte, dauert
es lange, bis der Schluss-Beifall aufbrandet. Der aber will dann gar nicht
mehr enden. (.....)
M.M.
Kleine
Zeitung Steiermark 01.10.2005
Peter Schreier wand den letzten Schumann-Kranz
Fans feierten den Tenor in einer Standing Ovation im Grazer Stephaniensaal
Auf seiner Abschiedstournee
als Liedsänger bescherte Peter Schreier, 70, Dresdener, Berliner und
Wiener Kammersänger, seinem treuen Publikum einen mit viel Wehmut aufgeladenen
Musikvereins-Liederabend.
Auswendig
Seit 1968 Gast im Stephaniensaal - schon beim ersten Konzert sang er
wie nun zum Abschied Schumanns Eichendorff-Liederkreis opus 39 - als Liedinterpret,
Bach-Evangelist und Dirigent, geizt Schreier nicht: 37 Lieder singt er auswendig,
gibt gar noch drei Zugaben, ehe er sich mit Schuberts "Musensohn"
zurückzieht.
Perfekt
Sein heller Tenor spricht immer noch sicher an ("Schöne Wiege meiner
Leiden", "Mit Myrten und Rosen"), präsentiert perfekte
Atemtechnik und Höhe ("Mondnacht"), dynamische Disposition
("Schöne Fremde") und meisterliche Phrasierung (besonders die
Strophe "Da lauschen alle Herzen" im Lied "Wehmut").
Musikalität und Natürlichkeit passen ideal zur Eichendorff-Welt,
bei Heinrich Heines "Dichterliebe" liefert die zynische Ironie eher
Schreiers kongenialer Klavierbegleiter Helmut Deutsch. Angesichts von Peter
Schreiers enzyklopädischem Schallplatten-Vermächtnis verblassen
aber derartige Einwände.
The
Budapest Sun 29.09.2005
A very intimate and personal
affair
Budapest. The
world of German Lieder (art songs) is a special one. Whereas opera can feel
like bigger-than-life characters emoting with made-for-the-stage gestures,
and oratorio can seem hieratic and remote, the German song cycle - especially
in the hands of Schubert - is an intimate, personal affair. With the barest
of means - a single voice and piano - the Liederkreis tells a story, just
to you, and to you alone. That was certainly the feeling that German tenor
Peter Schreier and Hungarian pianist András Schiff gave in their excellent
concert on September 19. Together they performed Franz Schubert's song cycle
Die schöne Müllerin, the tale of a miller boy who falls in love
with the miller's daughter, only to be broken-hearted when she turns her interest
to a hunter. I was fortunate enough to sit on the stage for this performance,
which lent an edge of authenticity. In Schubert's day, these song performances
were held not in a concert hall, but a salon, with the audience sitting around
the performers.
Peter Schreier, now 70-years
old, still sings with a clear, direct and pleasing voice, so well suited to
this music. He was a consummate storyteller, sometimes taking the role of
the miller boy, sometimes the narrator. Every necessary shade of expression
was given, but always in doses appropriate to this domestic art form. His
support in this effort from András Schiff was perfect. Schiff immediately
established the character of each individual song right from the opening bars,
from the fast-heart-beating pulse of Ungeduld (Impatience) to the fragile
collapse of Trockne Blumen (Dry Flowers).
Schiff was also wonderfully colorful and expressive in his solo performance
of Schubert's Four Impromptus. K.S.
Wiener
Zeitung 28.09.2005
Wehmütiger
Abschied vom Altmeister des Liedes
Wien. Welches Lied passte am Ende des Abends besser als "Abschied"?
"Ade, du schöne Stadt, ade!" Wenn ein solcher Abschied überhaupt
schön sein kann, so war es dieser: Standing Ovations und viele Bravo-Rufe
nach einer beeindruckenden "Winterreise" Peter Schreiers, noch mehr
als nach "Die schöne Müllerin" am vergangenen Donnerstag.
Dabei begann der Abend bereits mit einer kleinen Panne: Als wäre Schuberts
"Winterreise" nicht kalt genug, vergaß man, die Klimaanlage
abzuschalten, so dass Schreier persönlich noch einmal hinter der Bühne
verschwand, um Bescheid zu sagen.
Sängerische Eloquenz
Der zweite Zyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller entstand im Februar
des Jahres 1827. Von wehmütiger, todessehnsüchtiger Stimmung sind
fast alle der 24 Lieder geprägt. Peter Schreiers heller, obertonreicher
Tenor berührte das Publikum, stimmte nachdenklich. Erstaunlich, wie wenig
sich Stimme und Ausdruck in all den Jahren verändert haben. Sängerische
Eloquenz sowie ein untrügliches Gefühl für die Bedeutung eines
Wortes prägen seinen Ausdrucksstil, der einmal als "keusche Korrektheit"
bezeichnet wurde. Ein "Kammersänger-Feuerzangenbowle-Stil",
der, was die Sprache betrifft, an so großartige und beliebte Schauspieler
wie Heinz Rühmann oder später Theo Lingen erinnert.
Peter Schreier ist Meister des fantasievollen Singens. Gerade der "Lindenbaum", welcher Volkslied und Kunstlied von einem Moment zum anderen vereint, verkam bei Schreier nicht zum Ohrwurm, sondern bildete eine kleine, eigenständige Welt, genau wie die eiskalte Leere in "Der Leiermann". Schreier erweckt Bilder zum Leben, und das zeichnet einen großen Liedsänger aus. Er pflegt zudem außergewöhnlich viel Augenkontakt mit dem Publikum, was seine Rolle als Erzähler nur unterstreicht. Pianist Camillo Radicke war ihm auch dieses Mal ein unauffälliger, aber zuverlässiger Begleiter.
"Habe Dank!"
Peter Schreier ist ein letztes Grußwort im Programmheft gewidmet: "Durch
Jahrzehnte hindurch sind wir aufs schönste beschenkt worden", heißt
es darin. "Bleibt, ihm heute noch einmal von Herzen zu sagen: Habe Dank!"
MLvB
Wiener
Zeitung 24.09.2005
Begnadeter
Sohn der Musen
Wien. Abschiedstourneen sind seine Sache nicht. Doch hat es sich herumgesprochen:
Peter Schreier beendet seine Karriere. Im Musikverein wird auf "Die schöne
Müllerin" zuletzt die "Winterreise" folgen. Dank und herzliche
Sympathie gingen gleichsam von Sänger und Publikum aus. (.......)
Erzähler mit
Passion
Aus diesen beiden, aus Seele und Herz, besteht Peter Schreiers Interpretation.
Durch sein helles Timbre ungeheuer wortdeutlich, pflegt er einen "gebildeten"
Gesangsstil, der heutzutage nur mehr selten anzutreffen ist. Dynamische Schattierungen,
ein Reichtum an Stimmfarben sowie eine durch und durch gepflegte Legato-Kultur
machen ihn auch heute noch zu einem der bedeutendsten Liedinterpreten unserer
Zeit. Interpretation ist ihm wichtiger als schöner Klang, und auch wenn
die Intonation manchmal nicht ganz rein ist, entspricht seine häufig
deklamierende Ausdrucksweise immer dem Charakter des Liedes. Schreier ist
ein Erzähler und erzählt lieber Andante als Presto. Wunderbar fragend
waren "Der Neugierige" oder sein "Morgengruß", sich
fast überschlagend in "Ungeduld"; in wagnerischem Loge-Timbre
klagte er "Die böse Farbe" an, hatte mit "Eifersucht und
Stolz" zu kämpfen, um schließlich in "Des Baches Wiegenlied"
seinen Frieden zu finden. "Der Himmel da oben, wie ist er so weit!",
lautet die letzte Zeile. Doch in so bedrückter Stimmung wollte der Künstler,
solide und sicher begleitet von Pianist Camillo Radicke, sein Publikum nicht
nach Hause schicken. "Wanderers Nachtlied", "Liebesbotschaft"
sowie "Leise flehen meine Lieder" waren romantische Draufgaben.
Doch "zum Schluss", wie er sagte, passte wirklich nur eines: "Der
Musensohn"! MLvB
Die
Presse 24.07.2005
Ein
Meister nimmt Abschied
Peter Schreier
gibt seine letzten Liederabende in Wien: Schubert, innig, klar.
Wien.
Ovationen zuletzt, versteht sich. Nicht nur in Wien schwingt bei solchen Gelegenheiten
die Dankbarkeit für Jahrzehnte künstlerischer Geschenke mit, die
ein Sänger seiner Verehrergemeinde beschert hat. Peter Schreier kehrt
noch einmal als Lied-Interpret in jenes Haus zurück, in dem er seit 1965
ohne Unterbrechung sein Konzertrepertoire präsentiert hat, als Evangelist
in den Bach-Passionen, als Oratorien-Sänger von singulärem Format,
als Liedgestalter. Donnerstag sang er im Brahmssaal noch einmal Schuberts
"schöne Müllerin", Sonntag und Montag ist die "Winterreise"
avisiert. Das sind dann unwiderruflich die letzten Gesangsabende dieses Tenors
in Wien.
Von der Opernbühne, die er vor allem als Mozart-Tenor über lange
Jahre beherrschte, hat sich Schreier schon vor einiger Zeit verabschiedet.
Er tat es so heimlich, ohne großes Aufheben zu machen, wie er das jetzt
auch in Sachen Liedgesang vorhat. Doch kann er nicht verhindern, dass seine
Hörergemeinde die Schubert-Abende nun als Summe eines verehrungswürdigen
Sängerlebens registriert.
Gewiss, die Leichtigkeit, die Strahlkraft, mit der Schreier einstens auch Passagen wie das jubelnde "dein ist mein Herz" in der bebenden "Ungeduld" bewältigte, sie sind längst dahin. Doch welche Klarheit, welcher gestalterische Durchblick herrscht hier von Ton zu Ton, von Phrase zu Phrase, geboren aus einem innigen Textverständnis und dem Wissen um kleinste Nuancen, die Sprache und Musik zur expressiven Botschaft verschmelzen - auch dort, wo Schubert die Strophenform der Vorlage Wilhelm Müllers übernimmt, erst recht in jenen Momenten, da er sie transzendiert und die Fesseln von Versmaß und Metrik abstreift.
Man lauscht fasziniert, begreift, warum der Komponist hier und da längere Notenwerte vorsieht, als im Fluss der Melodie simpelsten Falls angezeigt scheint, warum ein scheinbar harmloses Naturbild mit harmonischen Trübungen kommentiert wird: Es steht ein Schicksal dahinter, wird in der kunstvoll modellierten Gesangslinie greifbar; und zwar ohne dass der Interpret zu drastischen Ausdrucksmitteln greifen müsste. Schreier singt mit makelloser Technik, beherrscht seine Stimme wie eh und je - und gewinnt aus ihr mit sanftesten Modulationen die nötige Beredtheit.
Seinem Partner am Klavier, Camillo Radicke, geht sie durchaus ab. Er stützt den Gesang des verehrten Sängers behutsam, aber ohne auch nur annähernd vergleichbare Differenzierungskunst, die der wahren Größe von Schuberts Liederzyklus erst angemessen wäre, der nicht nur dem Tenor höchste, fein verästelte Gestaltungskunst abverlangte.
Wie auch immer: Am Montag
wird mit der "Winterreise" im Wiener Musikleben eine Ära zu
Ende gehen. Das "Habe Dank!", das die Gesellschaft der Musikfreunde
ihrem Ehrenmitglied ins Programm gedruckt hat,
ist ein vielstimmiges. W.S.
Klassik.com August
2005
Bach im Blut
Peter Schreier singt seine letzte Johannes Passion
Glücklich, wer um die Größe dieses Abends wusste. Denn wenn
der weltberühmte Tenor Peter Schreier im Rahmen der Darmstädter
Residenzfestspiele ein letztes Mal als Evangelist und Dirigent in Bachs Johannes
Passion [in Deutschland] zu erleben ist, kann dies bedenkenlos als
Sensation bezeichnet werden – bloß dass 'Sensation’ hier
nichts zu tun hat mit dem derzeit viel beschworenen und doch allzu flüchtigen
'Event’, sondern einen Begriff einschließt, der heute antiquiert
erscheint und leider kaum mehr verstanden wird: historische Bedeutung. Schreier
ist der wohl letzte aktive Vertreter einer Sängergeneration, die in den
70er und 80er Jahren Maßstäbe gesetzt hat und deren Interpretationen
in vielerlei Hinsicht unerreicht geblieben sind. Mit dem Abschluss seiner
Sängerlaufbahn werden Brücken abgebrochen zu einem Kapitel des Gesangs,
das nunmehr nur noch über Tonträger zugänglich sein wird. Eine
Ära geht zu Ende.
Warum Schreier jahrzehntelang
als der Bach-Tenor schlechthin galt und geradezu selbstredend mit der Partie
des Evangelisten identifiziert wurde, lässt sich nach der Darmstädter
Johannespassion nicht nur erahnen, sondern bestens nachvollziehen. Auch kurz
nach Vollendung des 70. Lebensjahres gibt er sich stimmlich keine Blößen
und führte seinen unverwechselbar timbrierten, schlanken Tenor mühelos
über alle Hürden der vertrackten Rezitative. Einzig die Tatsache,
dass Schreier die Partie – vielleicht stärker als zu seinen Glanzzeiten
– von der Sprache her entwickelte, vor allem die Tiefe weniger aussang,
könnte man als ein klug angelegtes, aber stilistisch tadelloses Sicherheitsnetz
deuten. Aber welch Legato! Welch wunderbare, aus dem Falsett entwickelte Höhe
und schlafwandlerische Koloratur! Die selbst in höchster Dramatik gewahrte
Balance zwischen technischer Disziplin und Expressivität ist sicherlich
ein Hauptgrund dafür, dass Schreier sich die Frische und Gesundheit seines
Materials so lange erhalten konnte. Als wäre dies nicht schon faszinierend
genug, gelang es ihm auch noch, Gesangspartie und Dirigat zu einer untrennbaren
musikalischen Einheit zu verschmelzen. Kein Zweifel, Peter Schreier hat Bach
im Blut wie kein Anderer – da überraschte es auch nicht, dass er
die gesamte Passion auswendig bewältigte.
Doch nicht nur die herausragende Leistung Schreiers prägte sich ein an diesem Abend. Besonderes Lob verdienen die vorzüglich musizierende Darmstädter Hofkapelle und der hervorragend studierte, mit dichtem, homogenem Klangbild (selten hört man so lupenreine Sopranhöhen) und dramatischem Verve überzeugende Konzertchor Darmstadt. Die Leistungen der übrigen Gesangssolisten waren solide, teils gar erstklassig. Während Simone Nold ihre beiden Arien mit perfektem, silbrig schimmerndem Sopran sang und Konrad Jarnot die Jesusworte mit edlem, gut auf dem Atem platziertem Bariton würdevoll gestaltete, erwies sich Annette Markerts Alt als zu routiniert, um in der Arie „Es ist vollbracht“ anzurühren. Egbert Junghanns (Bass) und der kurzfristig für den erkrankten Markus Ullmann eingesprungene Martin Petzold (Tenor) bestritten ihre Partien souverän, aber mit vergleichsweise wenig Raffinement.
Doch bei einer solchen Aufführung, einem Abend, an dem im Grunde alles stimmt, stellt sich die Frage, ob das Betrachten von Einzelleistungen überhaupt angemessen ist. Diese Johannes Passion war so lebendig wie Bach, wie Musik nur sein kann, im Innersten zusammengehalten nicht nur durch eine großartige Künstlerpersönlichkeit, sondern durch Kräfte, die sich einer Erklärung weitgehend entziehen. A.S.
Darmstädter
Echo 23.08.2005
Abschied vom Evangelisten
Johannespassion: Abschluss der Darmstädter Residenzfestspiele: Der
Tenor Peter Schreier singt und dirigiert Bach
Darmstadt. Unglaublich, welche Frische, Ausdruckskraft und deklamatorische
Klarheit die Stimme des Siebzigjährigen besitzt. Dennoch: Peter Schreier
nimmt seinen nur wenige Tage zurückliegenden runden Geburtstag zum Anlass,
seinen Rückzug als Evangelisten-Tenor anzukündigen. Nach der grandiosen
Aufführung der Bachschen Johannespassion in der Darmstädter Stadtkirche,
die den Abschluss der Residenzfestspiele markierte, möchte man dem Künstler
am liebsten raten, seinen Entschluss zu revidieren.
Schreier, berühmt als Mozartspezialist, Oratoriensänger und Liedinterpret und auf allen großen Opernbühnen und Konzertpodien zu Hause, pflegt seit Jahrzehnten auch das Dirigieren. Als musikalischer Leiter und Evangelisten-Berichterstatter in Personalunion sorgte er am vergangenen Sonntagabend in der Stadtkirche mit dem Konzertchor Darmstadt, der Darmstädter Hofkapelle und einem ausgezeichneten Solistenquintett für eine ungemein packende, sehr musikalische und inhaltlich überzeugende Aufführung.
Schreier kennt jede Note der Johannespassion, er lebt jeden Takt mit und vermittelt – auswendig singend und dirigierend und mit Blick zum Publikum inmitten der Musiziergemeinschaft agierend – jede Nuance mit suggestiver Gestik und Mimik an die Sänger und Instrumentalisten. Hautnah erlebt man auf diese Weise einen Dirigenten, der keinen Taktstock benötigt, sondern Klänge je nach Ausdruckswerten mit zackigen oder runden, federnden oder starren, fließenden oder energischen Bewegungen modelliert und dabei frappierende Klangmischungen zwischen Orchester, Soli und Chor erreicht. Zusätzlich erlebt man einen höhensicheren, überwältigend facettenreichen Evangelisten-Tenor von überlegener Stilsicherheit und anrührender Ausdruckskraft, beispielhaft in der Textverständlichkeit zwischen makellosem Parlando und abschattierter Deklamation.
Schreiers Suggestionskraft treibt die 34 ausgesuchten Sängerinnen und Sänger des Konzertchores Darmstadt zu Höchstleistungen an. Die Turbachöre leben von ohrenfällig klarer Diktion und hoher stimmlicher Transparenz Leicht und tänzerisch, als Meisterleistung chorischer Polyphonie von kaum zu überbietender Präzision der Artikulation, geraten die synkopisch ineinander verschränkten Rhythmen („Lasset uns nicht zerteilen“). Kontrastierend hierzu gestaltet Schreier die Choräle in fließender Ruhe, mitempfindend („Wer hat dich so geschlagen“), voller Leuchtkraft („In meines Herzens Grunde“) oder energisch, als wolle er die Glaubensfestigkeit betonen („Christus, der uns selig macht“).
Mit der Darmstädter Hofkapelle (Konzertmeister: Ingo de Haas) stand ein engagiertes Ensemble zur Verfügung, in dem sich historisches (Viola d’amore und Gambe) und modernes (Streicher, Bläser) Instrumentarium harmonisch verbanden. Stets souverän und (gelegentlich fast zu) klangintensiv agierte die viel beschäftigte Continuogruppe um Hansjörg Albrecht (Orgelpositiv und Cembalo). Hervorragend waren auch die Gesangspartien besetzt: Simone Nold mit hellem Sopran, Annette Markert mit warm timbriertem, ausdrucksvollem Alt, Martin Petzold (eindringliche Tenorarien), Konrad Jarnot (Jesusworte mit noblem Bass) und Egbert Junghanns (pointiert als Pilatus, lyrisch wohlklingend in den Bass-Arien). Großer Applaus in der Stadtkirche. A.S.
Darmstädter
Echo 20.08.2005
Ein Drama in Liedern
Der Startenor Peter
Schreier singt bei den Darmstädter Residenzfestspielen Franz Schuberts
"Schöne Müllerin"
Darmstadt. Es könnte
ein einfaches Liebeslied sein. "Dein ist mein ganzes Herz" singt
der Müller, und Schubert lässt die Musik im Überschwang drängen.
Aber es gibt eine verräterische Zeile, die andeutet, dass die erfüllte
Liebe mehr Wunsch ist als Wirklichkeit. "Und sie merkt nichts von all
dem bangen Treiben": Peter Schreiers kluge Deklamation löst diesen
Satz aus dem musikalischen Fluss heraus. Es ist nur ein kleiner Wechsel der
Klangschattierung, aber man ahnt das Unheil dieser vordergründig heiteren
Seelenlage.
So lenkt ein Interpret
die Aufmerksamkeit seines Publikums. Wahrscheinlich weiß Peter Schreier
selbst nicht, wie oft er Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne
Müllerin" schon gesungen hat. Aber er hat angekündigt, dass
er es nicht mehr oft tun wird. Der Liederabend am Donnerstag bei den Darmstädter
Residenzfestspielen zählt zu den letzten Konzerten, die der gerade siebzig
gewordene Solist als Sänger geben wird. Es ist gewiss eine kluge Entscheidung,
sich ganz aufs Dirigieren zu konzentrieren. Singen ist Schwerarbeit, und eine
Stimme verändert sich. Auch bei Peter Schreier. Sein Tenor hat den Glanz
bewahrt, die charakteristisch helle Färbung, mit der dieser Sänger
seinen eigenen Stil im Lied-, Opern und Oratorienfach geprägt hat. Aber
es sind auch Zeichen zunehmender Angestrengtheit zu hören. Schreier zählte
zu den Sängern, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts
Maßstäbe gesetzt haben. Es war eine gewisse jugendliche Unbekümmertheit,
die allein der Klang dieser Stimme mitteilte, verbunden aber mit einer unbedingten
gestalterischen Präzision, die ja eigentlich das Gegenteil von derlei
Lockerheit verlangt.
Zur gestalterischen
Routine gehört es ebenso, sie sich nicht anmerken zu lassen. Es ist ja
auch die Routine der Konzentration, und die ist bei einem Freiluftkonzert
nicht einfach zu erreichen, wenn gerade zu Beginn eines zarten Liedes wie
"Der Neugierige" ein Motorrad die Zeughausstraße passiert.
Aber dafür, dass der Innenhof des Kollegiengebäudes mitten in der
Stadt liegt, bietet er einen ausgezeichneten Schutz gegen die meisten unerwünschten
Geräusche. Aber nicht gegen alle; spätestens in der zweiten Hälfte
des Zyklus machte sich manchmal ein merkwürdiges Quietschen bemerkbar,
das möglicherweise aus der Pedalmechanik des Flügels kam.
Die Kunst der Versenkung
Aber Schreier beherrscht die Kunst der Versenkung, aus der heraus er kalkulierte
Seelenlandschaften öffnet. Vor dem Lied "Trockne Blumen" legt
er eine lange Konzentrationspause ein, und aus der Stille heraus baut er eine
lyrische Miniatur auf, deren dichte Stimmung ihresgleichen sucht. So präzise
ist die Interpretation, dass sie über den gut sechzigminütigen Zyklus
kein Entgleiten der Aufmerksamkeit duldet. Das Spiel mit Phrasierung und Klangfarben,
das geschmeidige, kaum merkliche Anziehen des Tempos etwa in der Jagdhornstrophe
aus "Des Baches Wiegenlied", die sparsame gestiche Unterstützung,
die der unglücklichen Liebesgeschichte, zu der sich die Lieder summieren,
eine behutsam dramatische Schärfung gibt: Schreier spielt virtuos mit
seinem gestalterische Repertoire, und er schafft mit ihm eine Spannung die
sich begeistertem Beifall löste. Dass ihm das nicht immer mit jener spielerischen
Mühelosigkeit gelingt, die ihn früher einmal begleitet hat, ist
nicht überraschend. Aber die Raffinesse der Interpretation ist stärker.
Das Publikum hätte ihm gewiss gerne noch länger zugehört, aber mit Zugaben war der Star sparsam. Nach dieser dichten Darbietung hätte ja auch wenig mehr gepasst als "Wanderers Nachtlied", mit dem Schreier sein Publikum entließ. Für seinen Klavierbegeleiter Alexander Schmalcz war es eine weitere Gelegenheit, delikate Klangfarben auf diskrete Weise auszukosten. Der Pianist agierte dezent, aber wirkungsvoll im Hintergrund, lieferte deutliche Impulse, blieb aber in der gestalterischen Anlage eng an den Vorgaben des Solisten orientiert. J.B.
Sächsische
Zeitung 27.06.2005
Hohelied des Kunstgesangs
Der Kreischaer Robert-Schumann-Verein
veranstaltet alle zwei Jahre im schönen Reinhardtsgrimmaer Schloss eine
dreitägige Schumanniade, ein Musikfest für den großen sächsischen
Romantiker, der mit seiner Familie 1849 auf der Flucht vor der Revolution
einige Zeit in Kreischa Aufenthalt nahm. (......) Der
Meistbeschäftigte der diesjährigen Veranstaltung war András
Schiff, der ungarische Meisterpianist, einer von den wenigen, die es sich
leisten können, ihre eigenen Instrumente auf Konzertreisen mitzunehmen.
(.....)
Die Matinee am Sonntag brachte die "Märchenbilder" op. 113
für Viola und Klavier von Schumann. Schlichtig und Schiff hatten ganz
offensichtlich Spaß und Lust am Musizieren. Der ganz offene Deckel des
Pleyel-Flügels (der mitgebrachte Bösendorfer konnte nicht über
die Treppe transportiert werden) hatte zur Folge, dass die fantastisch gespielte
Bratsche manchmal etwas unterging. Drei
Balladen von Friedrich Hebbel, von Schumann für Deklamation und Klavier
komponiert, schlossen Peter Schreier als Rezitator ein.
Das bedeutsamste Ereignis
des kleinen Musikfestes war bereits am Freitag der Liederabend von Peter Schreier,
angekündigt als sein letzter. Sicher, alles geht einmal zu Ende, auch
die Karriere eines Sängers. Aber bei diesem über Jahrzehnte gereiften,
genialen Künstler tut es weh, ihn scheiden zu sehen. Schreier sang noch
einmal die drei großen Liederzyklen Robert Schumanns und verkörperte
noch einmal das "Hohelied des Kunstgesangs". Wer machte oder macht
es ihm gleich? Einige Beispiele: Solch eine meisterhafte Handhabung des Kopfregisters,
das er nahtlos mit dem Falsett zu mischen versteht! Solch eine Wortdeutlichkeit!
Und welch ein Gefühl für Rhythmus! Solch eine tief empfundene Ausdeutung
der Dichtungen Heines und Eichendorffs! Solch ein dynamischer Wechsel zwischen
Lyrik und Dramatik! Und nicht zuletzt, welch großartige Spannungsbögen,
die er über ein ganzes Lied zu ziehen vermag. Irgendwelche Lieder herauszugreifen
erübrigt sich: Jedes einzelne von ihm interpretierte wurde zu einer Kostbarkeit.
András Schiff an seinem Pleyel-Flügel, der im Diskant, aber auch
nur dort, ganz bezaubernd klang, war Schreier ein kongenialer Partner, seine
Nachspiele atmeten Robert Schumanns Geist. Der Abend schloss zwar - Bezug
nehmend - mit den Worten: "Ich senkt' auch meine Liebe und meinen Schmerz
hinein". Doch Schreier ließ es sich nicht nehmen, drei Zugaben
zu singen, darunter zwei ganz optimistische, heitere Lieder von Franz Schubert.
Was bleibt ist Wehmut,
aber auch Hoffnung, dass man diesen großen Künstler wenigstens
immer mal wieder als Dirigent erleben kann. H.W.
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